aus der erinnerungskiste gekramt:
vom reisen und kurzzeitigem ankommen in einer tollen wg, eine erfahrung verfasst in einem brief an den netten mensch der mir mal sein zimmer zur verfügung gestellt hat.
hallo du der mir sein zimmer geliehen hat,
wir haben uns sehr wenig gesehen, logisch du warst ja weg. trotzdem hat sich für mich einiges eröffnet durch dich und deshalb möchte ich dir schreiben.
vor ungefähr einem jahr habe ich mich auf den weg gemacht mit meinem packsack auf dem rücken und außer ein paar habseligkeiten, alle sicherheiten einfach abgeschafft. ich habe meine wg aufgelöst, meinen hausrat verschenkt, meine matratze zurück in mein elternhaus gebracht und mein soziales netzwerk einfach zurückgelssen. um neues zu ergründen, balast abzuwerfen und mich zu finden. meine reise hat mich in eine andere welt geführt. neue menschen, andere kulturen, neue aufgaben und freunde. oft habe ich meine unterkunft gewechselt und war an vielen orten nur für kurze zeit, denn es ist spannend so zu leben. immer neues zu erfahren ohne verpflichtungen zu haben. diese abenteuerlust hat sich bald in ruhelosigkeit gewandelt und wurde zu einer suche. ohne genau zu wissen was ich finden möchte bin ich immer weitergefahren. durch länder, die von kriesen und armut geprägt sind. manchmal allein, manchmal mit menschen die mir unterwegs begegnet sind.
auch als ich wieder nach deutschland kam konnte ich nicht damit aufhören auf dem sprung zu sein. ich habe leute besucht, freunde wiedergetroffen und mein reiseleben einfach mitgebracht. ich habe nicht geahnt, dass sich die wohnungssuche als solch ein schwieriges unterfangen darstellt. es wird schon irgendwo einen fleck geben an dem ich mich niederlassen und weiterstudieren kann, dachte ich. doch so einfach schien es nicht zu gehen. du hast mir als zwischenlösung freundlicherweise dein zimmer angeboten. zuerst dachte ich es sei nicht so ernst gemeint und nur ein beiläufiges nettes angebot. schließlich kennen wir uns kaum und warum solltest du mir deine privatsphäre überlassen?
doch tatsächlich bin ich eingezogen. mit ein paar meiner sachen auf dem rücken wurde ich herzlich in empfang genommen in diesem haus voller spannender menschen. und da stand ich nun. ich in deinem zimmer und mit dir um mich herum ohne dass du eigentlich da bist. deine jacke am haken, die bücher die du liest, dein bett und deine energie. ein merkwürdiges gefühl dich so kennenzulernen und gleichzeit so stark. du hast mir dein reich überlassen mit vollstem vertrauen und dafür danke ich dir sehr!
ich habe auf einmal mitbekommen wie toll wohnen mit vielen lieben menschen in einer großen wg sein kann. zuvor war ich doch immer auf mich allein gestellt. doch auf einmal sitzen da erhellte gesichter um den tisch, essen zusammen und schenken sich aufmerksamkeit. der liebevolle umgang hat mich überwältigt. ich habe den zeitpunkt schlafen zugehen verpasst weil alle gemeinsam dasitzen und musik machen mit einer leichtigkeit und vertrautheit, von der ich vergessen habe, dass sie existiert. ich habe gekocht und plötzlich kommen mehr und mehr mitbewohner aus ihren löchern und freuen sich darüber mitessen zu können. ich habe gespräche geführt, die sehr persönlich waren und mich respektiert und verstanden gefühlt. mit all diesen dingen habe ich nicht gerechnet. und auf einmal hat sich in mir das gefühl von zu hause eingestellt. als sei ich irgendwie angekommen.
es gibt menschen bei denen ich eine große anziehung verspürt habe. mit denen ich zeit verbringen möchte und meinungen teile. menschen mit großen herzen, die auch ihre kleinen macken haben. doch durch diese begegnungen sind neue fragen entstanden. wie kann ich mich in diese konstellation platzieren, dass ich genau das lebe was ich fühle und doch niemanden vor den kopf stoße? wer hat welche beziehungen, die ich durch mein sein gefährden könnte? was denken die anderen, wenn ich so bin wie ich eben bin? und warum kann ich all diese fragen nicht einfach abschalten und sein wie ich bin?
es fällt mir nicht ganz leicht stellung zu meinen gefühlen zu beziehen. ich bin unsicher, hin und her gerissen. und immer wenn das eintrifft ergreife ich die flucht. genau wie jetzt. gezwungener maßen, mit einem schweren herzen und doch freiwillig ziehe ich wieder aus. schließlich willst du ja auch wieder hier wohnen.
danke, dass du sie mir zur verfügung gestellt hast, so ohne zweifel und vorurteile. ich werde es irgendwann auch mal so machen und mein zimmer an jemanden in solch einer situation geben.
und schön das du wieder da bist und ich vielleicht auch ein bisschen mehr von dir in natura sehe in zukunft, wenn ich euch besuchen komme!
liebst